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Dynamische Messungen

Repetition Zeitverhalten Temperaturmessung

Sie haben im bisherigen Verlauf der Temperaturmessung bereits mehrfach beobachten können, dass Temperatursensoren "langsam" reagieren, d.h. dass wir von Auge zuschauen können wie die angezeigte Temperatur sich langsam verändert. Versuchen Sie sich bitte an die bisher betrachteten Beispiele zu erinnern:
  • Bei der Aufnahme der Kennlinie des Pt100: wenn der Sensor in einen heisseren Kalibrierofen gesteckt wurde, musste man lange (Grössenordnung 1-3 Minuten) warten, bis der Messwert stabil war.
  • Bei der Aufnahme der Kennlinie des Pt100: wenn der Sensor ins Eiswasser getaucht wurde, ging es deutlich schneller bis die Temperatur stabil war als an Luft.
  • Ein Thermoelement mit extrem dünnen Drähten (12.7 µm) wurde als Demoobjekt gezeigt, es hatte eine Zeitkonstante von ~10ms und konnte damit viel schnell auf Temperaturänderungen reagieren als "normale" Temperatursensoren.
  • In Übung 3+4 mussten Sie als letzte Aufgabe das folgende Video zu Thermoelementen schauen und versuchen die Messwerte zu erklären. Falls Sie es noch nicht angeschaut haben, schauen Sie es gleich hier nochmal an, und überlegen Sie warum die Messwerte mit dem Multimeter falsch sind. Natürlich hat es mit den "dynamischen Messungen" zu tun, bzw. damit dass sich Dinge unterschiedlich schnell erwärmen und abkühlen. Sie können davon ausgehen dass das spezielle Thermoelement-Messgerät (Fluke 51) richtig misst.

Zusammenhang zum Labor U-Wert-Messung

Letzte Woche haben Sie im Labor mit Hilfe von Wärmestromplatten versucht, den U-Wert der FH-Fenster zu messen. Die Messresultate - hier aus dem Jahr 2021 - waren nicht ganz überzeugend, wie Sie im Bild sehen:

Man würde für doppelverglaste Fenster einen U-Wert von ca. 1.1 W/m2K erwarten; aber gemessen wurden deutlich tiefere Werte. Ein möglicher Grund dafür wäre - angesichts der generell trägen Temperatursensoren - dass hier ein ähnlicher Effekt mit der Wärmestromplatte aufgetreten sein könnte.

Aufgabe

Warum habe ich die Wärmestromplatte im Verdacht und nicht die Temperatursensoren?

Tipp
Es gibt zwei Gründe warum es eher an der Wärmestromplatte liegen könnte - einerseits die Dimensionen der Sensoren, andererseits die Messwerte selbst.
Lösung anzeigen
Die Wärmestromplatte ist viel viel grösser (Faktor 100 oder 1000 mehr Material) als der Pt1000-Sensor - sie braucht also wohl länger um sich an Temperaturänderungen anzupassen. Schaut man nur die Messwerte an, so sieht man, dass die Temperaturmessungen aller 4 Gruppen ähnlich sind, d.h. die grossen Unterschiede in dem gemessenen U-Wert kommen nicht von unterschiedlichen ΔT-Messwerten, sondern müssen von der Wärmestromplatte kommen.
Ich habe Sie aufgefordert "zu warten bis das Signal stabil ist", aber das ist natürlich eine sehr schwammige Aufforderung; wie weiss man denn ob man lange genug gewartet hat? Sobald man die Mittelwertbildung auf dem Multimeter einschaltet und nur noch den Mittelwert betrachtet, sieht man nicht mehr recht ob und wie der Messwert ändert. In solchen Fällen ist es viel besser, einen Datenlogger einzusetzen, der die Messdaten aufzeichnet so dass man ihnen ansehen kann ob sie stabil sind. Ich habe das nachträglich zuhause gemacht, bei einem dreifachverglasten Fenster:

Man sieht, dass nach der Installation (bei der die Werte wild herumspringen, kein Wunder wenn man die Wärmestromplatte mit warmen Fingern berührt) und Start der Messung bei ca. 180s eine lange Zeit vergeht bis die Messwerte einigermassen stabil sind. Erst etwa 10 Minuten nach dem Anbringen der Wärmestromplatte lässt sich ein einigermassen stabiler Messwert ablesen. Wenn man früher misst, dann ist der Messwert und damit der berechnete U-Wert zu tief, und das könnte hier passiert sein.

Aufgabe

Können Sie erklären, warum der Messwert von ca. Null weg langsam ansteigt (und nicht "von oben" auf einen stabilen Wert sinkt)?

Tipp
Überlegen Sie wie die Temperaturverteilung in der Wärmestromplatte direkt vor der Montage ist, und wie sie sich nachher ändert!
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Vermutlich ist die Wärmestromplatte zu Beginn im thermischen Gleichgewicht, d.h. Vorder- und Rückseite sind gleich warm, und sie zeigt etwa Signal 0 an. Klebt man sie an das Fenster, das etwas kälter ist als der Raum, dann kühlt sich die Seite am Fenster ab, und dadurch stellt sich nach genügend langer Zeit ein linearer Temperaturgradient in der Wärmestromplatte ein. Es braucht aber Zeit, bis sich dieser Zustand eingestellt hat, d.h. es geht von Signal 0 (thermisches Gleichgewicht) langsam hoch.
Aufgabe

Wenn Sie diese Messung nochmals machen müssten, was würden Sie besser machen - und zwar so dass Sie 99% sicher sind dass es diesmal richtig ist (also nicht "ein bisschen länger warten" - das ist nicht gut genug!)? Und natürlich bekommen Sie wieder nur das Multimeter, und keinen Datenlogger!

Tipp
Wenn man keinen Datenlogger hat, muss man selber Daten loggen.
Lösung anzeigen
Man könnte das Multimeter wieder zur Mittelwertbildung benützen, aber diesmal immer 1 Minute Mittelwert bilden, Messwert notieren, und dann die Mittelwertbildung neu starten. So hätte man eine Messdatenreihe der man schnell ansieht ob die Messdaten nun stabil sind oder nicht. Wenn man es etwas gemütlicher haben möchte, so kann man natürlich auch nur alle 2 Minuten oder alle 5 Minuten den Wert ablesen.

Beobachtungen zum Zeitverhalten von Temperatursensoren

Im Video zeige ich Ihnen nochmals wie sich zwei unterschiedliche Temperatursensoren zeitlich verhalten, wenn man sie in Eiswasser taucht, und wieder hinausnimmt. Ich werde hier den zeitlichen Verlauf der Temperatur auch aufzeichnen damit man - wie oben bei der U-Wert-Messung - besser sieht was passiert als wenn man nur auf die Anzeige eines Multimeters starrt.

Aufgabe

Erklären Sie mit den richtigen Fachbegriffen die 3 unterschiedlichen Zeitkonstanten die man im Video gesehen hat (im Wasser, in der Luft (ruhig) und in der Luft (bewegt)).

Lösung anzeigen
Es findet eine Wärmeübertragung von Eiswasser bzw. Luft auf den Sensor statt, die durch den Wärmeübergangskoeffizient \(\alpha\) oder h beschrieben werden kann. Sie sehen im Video schön dass der Wärmeübergangskoeffizient in Wasser offenbar "viel grösser" ist als in der Luft, wobei das "viel grösser" später noch quantifiziert wird. Allgemein gilt natürlich dass der Wärmeübergangskoeffizient in Flüssigkeiten viel grösser ist als in Gasen. Ebenfalls gut sichtbar war der Unterschied von natürlicher Konvektion (Sensoren unbewegt in Luft) zu erzwungener Konvektion (Sensoren bewegt in Luft - man könnte denselben Effekt natürlich auch mit einem Ventilator erreichen).

Ansprechzeit und Grenzfrequenz

Sie haben nun 2 Beispiele von Zeitverläufen gesehen (Spannung der Wärmestromplatte nach Montage am Fenster, Temperatur der Pt100-Sensoren nach Eintauchen in Eiswasser). Nun stellt sich die Frage wie man dieses Zeitverhalten beschreiben kann - und natürlich am Besten möglichst präzis, d.h. auch mathematisch ausdrücken kann. Der dünnere Pt100-Sensor hat schneller reagiert als der dickere, aber wie kann man nun beschreiben wie schnell diese Sensoren sind? Im Video unten erkläre ich wie das geht, und was die beiden Begriffe Anprechzeit und Grenzfrequenz sind. Aber vorher habe ich noch eine Frage an Sie:

Aufgabe

Das Bild zeigt nochmals wie sich die Temperatur nach dem Eintauchen der Sensoren ins Eiswasser dem Endwert nähert - zuerst schnell, dann immer langsamer. Erinnert Sie das Bild an ein ähnliches Zeitverhalten aus einem anderen Modul?

Tipp
Es müsste in eltU gewesen sein!?
Lösung anzeigen
Falls Sie in eltU oder einem anderen Fach die Ladung oder Entladung eines Kondensators angeschaut haben, dann haben Sie genau dieselbe Kurvenform schon gesehen!

Im Video zeige ich wie man die Ansprechzeit angibt und grafisch bestimmen kann

Die Ansprechzeit bezieht sich immer darauf, wie schnell der Sensor auf einen theoretisch perfekten Sprung im Eingangssignal reagiert. Es gibt auch noch eine alternative Art das Zeitverhalten eines Sensors zu beschreiben, nämlich mit der sogenannten Grenzfrequenz. Dies wird im nächsten Video erklärt.

Ursache der Ansprechzeit

Wir haben nun gesehen, wie wir den Zeitverlauf der Temperatursensoren beschreiben können, und es lohnt sich über die Ursache dafür nachzudenken. Der Temperatursensor hat eine eigene Masse, die bei einer Temperaturänderung aufgewärmt oder abgekühlt werden muss. Die innere Energie des Sensors muss sich gemäss \(\Delta U = m \cdot c \cdot \Delta T\) ändern, und der Energietransfer geschieht nicht unendlich schnell, sondern durch Wärmeübertragung: \(\dot{Q} = h \cdot A \cdot \Delta T\)

Aufgabe

Berechnen Sie "naiv" die Zeit \(\Delta t\), die es dauert bis sich der Sensor auf seine Endtemperatur erwärmt hat, indem Sie \(\Delta U\) mit \(\dot{Q} \cdot \Delta t\) gleichsetzen!

Lösung anzeigen
Man erhält durch Einsetzen und Auflösen die Gleichung

\(\Delta t = {{m \cdot c} \over {h \cdot A}}\)

Aufgabe

Warum schreibe ich in der Aufgabe oben "naiv", bzw. warum ist dieses Resultat falsch? Und was für einem Resultat aus der Theorie zu der Ansprechzeit entspricht es wohl? Und was folgt daraus?

Tipp anzeigen
Da die Temperatur des Sensors sich mit der Zeit verändert, ist \(\Delta T\) natürlich eine Funktion der Zeit \(\Delta T(t)\) und wird mit der Zeit kleiner.
Da wir diesen Effekt in der naiven Rechnung nicht berücksichtigen, ist es als ob der Sensor seine Temperatur linear ändern würde, also...
Lösung anzeigen
Die naive Berechnung entspricht genau der Tangente die wir an die Sprungantwort des Sensors gelegt haben! Dort nimmt die Temperatur konstant zu (oder ab), und schneidet irgendwann die Endtemperatur - und genau das haben wir hier berechnet. Da dies laut Theorie gerade die Ansprechzeit \(\tau_{63}\) ist, war die Berechnung zwar naiv - und falsch, falls wir berechnen möchten wie lange es dauert bis der Temperatursensor die Endtemperatur erreicht, aber zufällig ist das Resultat gerade die Ansprechzeit so wie man sie (oft) im Datenblatt eines Sensors finden würde!

Bei dem Temperatursensor ist die Ansprechzeit durch die nötige Änderung der inneren Energie des Sensors bedingt. Bei anderen Sensoren findet man auch Ansprechzeiten, die auch erklärbar sind, allerdings mit anderen Erklärungen. Ein paar Beispiele:

Für die Sensorhersteller lohnt es sich, über diese Ursachen nachzudenken, denn wenn man die Ursachen kennt, dann kann man auch schnellere Sensoren bauen - indem man ultradünne Drähte für das Thermoelement verwendet, ein Spannungsmessgerät mit möglichst geringer Eingangskapazität baut, einen Kraftsensor mit möglichst geringer Masse (wird stärker beschleunigt von der Kraft wegen F = m·a), oder ein Nanopartikelmessgerät mit einer möglichst kurzen Einlaufstrecke.

Mathematische Beschreibung mit einer Differentialgleichung

Bis jetzt haben wir bei der Sprungantwort die "naive" Betrachtung mit einem linearen Temperaturanstieg gesehen (Tangente), aber nicht die theoretische Antwort des Sensors - zuerst schneller, dann immer langsamerer Anstieg. Dazu muss man ein bisschen mehr Rechnen, es braucht eine Differentialgleichung. Da Sie in der Analysis Differentialgleichungen behandelt haben, ist das ein wunderbares Beispiel dafür wozu man Differentialgleichungen brauchen kann!

Bitte versuchen Sie im Skript (entweder aus dem AD nehmen, oder gleich unten eingebettet in die Webseite) den Abschnitt "Berechnung der Zeitkonstanten mit einer Differentialgleichung" von Seite 2-30 Mitte bis Seite 2-31 unten zu bearbeiten.

Wenn Sie alles richtig gemacht haben, dann kommt natürlich genau dieselbe Zeitkonstante heraus wie vorher mit der naiven Lösung; allerdings diesmal mit der richtigen funktionalen Form - einer exponentiell zerfallenden Abweichung vom "wahren Wert".

Vergleich mit der Realität

Immer wenn man etwas berechnet hat, sollte man einen kurzen "reality check" durchführen. Rechenfehler sind schnell gemacht, und wenn man irgendeine einfache Möglichkeit zur Kontrolle der Rechnung hat, sollte man sie benutzen. Ich habe in einem Datenblatt die Dimensionen eines Pt100 und seine Ansprechzeit nachgelesen; und damit können Sie kontrollieren ob unsere Berechnung stimmt.

Machen Sie oben im Skript weiter, indem Sie die ganze Seite 2-32 (Abschnitt Abschätzung von Zeitkonstanten mit Differentialgleichung) bearbeiten. Passt es? Wenn nein, können Sie Vermutungen anstellen warum es nicht ganz passt?

Zeitkorrektur

Der Aufwand um die Zeitkonstante mittels Differentialgleichung richtig zu berechnen, war viel grösser als die naive Variante, und wenn dann nur dieselbe Zeitkonstante herauskommen würde, dann würde es sich überhaupt nicht lohnen die komplizierte Rechnung zu machen; aber es lohnt sich tatsächlich; ich zeige Ihnen im nächsten Video warum!

Vernetzung: Zusammenhang zu anderen Fächern und Phänomenen

Die Differentialgleichung die hier vorgekommen ist, ist eine sogenannte Differentialgleichung erster Ordnung (es kommt nur die erste Ableitung nach der Zeit vor). Differentialgleichungen erster Ordnung haben grundsätzlich Exponentialfunktionen als Lösungen; im Gegensatz zu Differentialgleichungen zweiter Ordnung, die Schwingungen als Lösungen haben. Ich möchte Ihnen hier ein paar weitere Beispiele zeigen wo völlig andere Phänomene auf genau dieselbe Differentialgleichung führen, und darum sind auch dort die Lösungen mathematisch genau dieselben. Das ist ein Grund, warum Sie diese Differentialgleichungen lernen mussten - sie haben sehr viele Anwendungen, und oft erscheinen immer wieder dieselben Differentialgleichungen - "solve once, use anywhere"! Lesen Sie dazu im Skript noch die Seiten 2-33 bis 2-35!

Zusammenfassung

In diesem Theorieblock haben Sie gelernt dass alle Sensoren (nicht nur Temperatursensoren) eine bestimmte Zeit brauchen, bis sie auf eine Änderung der Messgrösse reagieren. Dieses Verhalten wird entweder durch eine Ansprechzeit oder eine Grenzfrequenz beschrieben, wobei es ganz egal ist, ob man es mit Frequenz oder Zeit angibt, und auch egal ob man es mit τ63, τ90 oder τ95 - alle diese Zahlen können ineinander umgerechnet werden, wenn man annehmen kann dass es sich um Prozesse erster Ordnung handelt, d.h. um Prozesse die durch eine Differentialgleichung erster Ordnung beschrieben werden können.

Ich wollte Ihnen an zwei Beispielen auch zeigen dass Mathematik schön und nützlich ist, aber auch dass man unbedingt die mathematische Lösung mit der Realität vergleichen sollte, damit man sicher sein kann dass das was man berechnet hat richtig und relevant ist. Insbesondere habe ich Ihnen mit Hilfe der LabView-Datenerfassung gezeigt, dass sich die ganze Rechnerei tatsächlich lohnt: mit Hilfe der Zeitkorrektur (die wieder auf beliebige Sensoren anwendbar ist) kann man langsame Sensoren "durch Nachdenken" beschleunigen.

Lösen Sie bitte im Anschluss an das Theoriestudium die Übung 5!